Unterschiede im Sozialverhalten
Vieles von unserem sozialen Verhalten wird von unserem antrainierten "Autopiloten" automatisch geregelt. Auch hier gibt es einige interessante Unterschiede in der Programmierung des deutschen und französischen "Autopiloten" bzgl. des Sozialverhaltens. Das alles hat erhebliche Bedeutung in der Art und Weise, wie wir uns z.B. im Straßenverkehr verhalten, Konflikte angehen, mit anderen zusammenarbeiten, was wir von einer Führung erwarten und wie ganz generell daraus resultierend auch unsere politischen und sozialen Systeme in unseren Ländern funktionieren. Das Hochinteressante daran ist, dass das alles keine Effekte der Neuzeit sind, sondern sich schon vor Jahrhunderten entwickelt haben.
Der individualistische Egoist
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Inhalte dieses Kapitels
Definitionen und Kennzeichen das französische Schulsystem Vor- und Nachteile die politischen Systeme
Einige Definitionsversuche
Wir wollen dem Zitat von Immanuel Kant aus seinem Werk des kategorischen Imperativs, das sehr treffend die Einstellung eines gemeinschaftlichen Egoisten widerspiegelt, ein französisches Zitat von Réne Descartes entgegenstellen, dass die Einstellung eines individualistischen Egoisten sehr gut definiert.
"Ich denke also bin ich!"
In diesem Zitat steht ganz eindeutig die eigene Person im Vordergrund (5 Worte und zweimal "ich"!). Für einen individualistischen Egoisten ist es ganz natürlich, dass jeder erst einmal an sich selbst und seine Familie denkt. Das Wort "natürlich" soll hier aber gleich ausdrücken, dass dies nicht heißt, dass sich jeder individualistische Egoist kalkuliert rücksichtslos gegenüber anderen verhält.
Die Menschen aus individualistisch egoistischen Kulturen sind sehr viel gelassener gegenüber Verstößen gegen Recht und Regeln. Sie schimpfen zwar über solche Personen, bewundern sie aber gleichzeitig ob ihrer Gerissenheit ("C'est de bonne guerre" - sagt der Franzose hier gerne. Vergleichbar dazu hält es der Alt-Bayer mit der Formel "A Hund isser scho"). Individualistische Egoisten handeln grundsätzlich eigennützig, lassen aber auch im Gegenzug die anderen leben, wie es ihnen gefällt.....(Einschränkung: aber nur solange das nicht mit ihren eigenen Interessen kollidiert, sonst gibt es den besagten "bonne guerre").
Praktisch alle südlichen Kulturen sind individualistisch egoistisch geprägt, in Europa insbesondere die romanischen Länder. Interessanterweise zählt Bayern - vor allen die altbayerischen, katholisch geprägten Gebiete - im Vergleich zu den Norddeutschen in sehr vielen Denk - und Handlungsweisen eher zur individualistischen als zur gemeinschaftlichen Franktion.
Hier einige typische Kennzeichen des individualistischen Egoisten:
Stolz auf persönliche Leistung
"Ich-Denken", mein Beitrag, meine Ideen, usw. (Siehe Zitat Decartes!).
Denken an den eigenen Vorteil
Alle Handlungen sind eigennützig.
Missachtung von Konformität
Jeder handelt, wie er es für richtig hält, Gesetze sind "grobe" Richtlinien, die geschickt umgangen werden dürfen. Wer konform handelt wird als Mitläufer ohne ausreichendes Selbstbewusstsein abgestempelt.
Streben nach Bewunderung
Originalität, Einzigartigkeit und Privilegien sind wichtige Antriebsfaktoren.
Starkes Familiengefühl
Die Familie ist Schutzraum. Zuerst herrscht gegenüber Fremden ein starkes Misstrauen.
Innenorientierung
Die öffentliche Meinung zählt wenig. Ansichten bildet man sich selbst.
Unabhängigkeitsstreben
Die Gemeinschaft hat sich aus den Belangen des Einzelnen herauszuhalten.
Elitestreben
Persönlichkeiten werden herausgestellt, "dazu gehören" ist ein erstrebenswertes Ziel.
Hedonismus
Spaß und Freude gehen vor.
Das französische Schulsystem
Das französische Schulsystem unterscheidet sich ganz wesentlich von unserem deutschen. Die französischen Lehrer sind in der Regel sehr autoritär und dozieren vom Katheder herab. Gefördert werden die Fähigkeiten das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen (Synthesefähigkeit), die Verbesserung der Arbeitskapazität unter großer Belastung, das mathematische Denken und Analysieren.
Wer dieses Schulsystem erfolgreich absolviert, geht möglichst auf eine der staatlichen Eliteschulen, die Grandes Écoles. (Die herkömmlichen Universitäten haben im Gegensatz zu den Grandes Ècoles einen eher schlechten Ruf). Wer in Frankreich dann zu dieser Bildungselite gehört , der gehört automatisch auch zur sozialen Elite. Die Führungspoitionen in der Verwaltung und Wirtschaft wurden bisher fast ausschließlich durch Abgänger der Grandes Ècoles besetzt. Diese Eliteschulen sind nicht nur das Lebensziel ambitionierter Schüler und Eltern, das gesamte Schulsystem in Frankreich ist darüber hinaus durch ein kompliziertes Wettbewerbssystem darauf ausgerichtet den Zugang zur Elite stark zu reglementieren. Dieser Wettbewerb geht schon in sehr frühem Kindesalter los, wenn Eltern versuchen einen Kindergartenplatz zu ergattern, der dafür sorgt ihrem Nachwuchs mit einem Vorteil gegenüber anderen Kindern ins Rennen zu schicken.
Wie der Presse zu entnehmen war, will der französische Präsident Emanuel Macron eine der Grandes Écoles die ENA, eine der großen Kaderschmieden der französischen Verwaltung, schließen, da sie sich - entgegen der Gründungs-Idee von 1945 durch Charles de Gaulle - immer mehr als "geschlossenes System" etablierte. Wir werden sehen wie sich das entwickelt.
Da die soziale und schulische Selktion identisch ist, macht sich in französischen Schulen schon sehr früh das Konkurrenzdenken unter den Klassenkameraden breit. Um an eine der Grande Ècoles (wie die ENA, Polytechnique oder HEC) zu kommen, müssen Schüler, die ein sehr gutes Abitur haben (mathematisch-naturwissenschaftliche Schwerpunkte werden eindeutig bevorzugt) eine zweijährige Tortur einer Vorbereitungsklasse überstehen. Alle Klassenkameraden sind nun definitiv Konkurrenten um einen der Studienplätze, vor denen man sich in Acht zu nehmen hat. Die Aufnahmen in eine Grande Ècole wird dann mehr gefeiert, als deren Abschluss. Man ist jetzt unter sich und das sind dann auch die Anfänge jener berühmten "Seilschaften", in denen sich alle Absolventen ein Leben lang gegenseitig fördern.
In unseren beiden Ausbildungssystemen werden ganz unterschiedliche Anlagen, Denk-und Verhaltensweisen gefördert, die sich später selbstverständlich auch im Arbeitsleben auswirken. Konflikte in der deutsch-französischen Zusammenarbeit sind bereits von der Schule an vorprogrammiert. Wie man sieht werden hier völlig gegensätzliche Fähigkeiten gefördert, was dann selbstverständlicherweise im Erwachsenleben oft zu völligem Unverständnis führen oder sogar als Bedrohung empfunden wird.
Einige Kernunterschiede die den jungen Menschen in unseren beiden Schulsystemen beigebracht werden:
Was junge Deutsche in der Schule lernen
*Gemeindschaftsdenken
*Autorität hinterfragen, Gesetze und Regeln respektieren
*Informationen gründlich verstehen
*diskutieren und kritisch nachfragen
*Druck vermeiden
*Schritte genau planen
*die beste Lösung finden
*mit Sachkompetenz darstellen
Was junge Franzosen in der Schule lernen
*Wettbewerbsdenken
*Gesetze und Regeln hinterfragen, Autoritäten respektieren
*Informationen schnell aufnehmen
*in Frage stellen/ regaieren
*unter Druck arbeiten können
*Ideen strukturieren
*Alternativen ausarbeiten
*Denkmodelle bilden und brillant präsentieren
Noch einige Vor- und Nachteile individualistisch egoistischer Kulturen.
Individualistische Egoisten sind - wie oben beschrieben - sehr oft einem relativ starken Druck ausgesetzt, sei es von stattlichen Autoritäten oder den Vorgesetzten aus. Wie jeder Mensch sucht auch er ein Ventil um sich abzureagieren. In diesen Kulturen geschieht dies häufig in der Form den "Autoritäten" eins auszuwischen. Momentan erleben wir das in Frankreich in Form der Gelb-Westen Bewegung. Normalerweise gehen individualistische Kuturen sehr tolerant miteinander um, solange sie sich nicht ins Gehege kommen. Das wird in einer enger werdenden Welt immer schwieriger, so fällt ihnen das Zusammenleben auch immer schwerer. Da kein individualistischer Egoist Verständnis für die Bedürfnisse von anderen erwarten kann, müssen dann oft drastische Maßnahmen ergriffen werden um sich Gehör zu verschaffen.
Hier noch einige Vor- und Nachteile dieser Verhaltenweise.
Vorteile | Nachteile |
---|---|
Freiheit Leben und leben lassen, solange man sich nicht auf die Füße tritt. |
Egozentrisches Handeln Das eigene Problem ist immer das wichtigste. |
Toleranz und Nachsichtigkeit Nur wer nichts tut macht keine Fehler. Andere Meinungen werden zugelassen. |
Verzettelung Einzelpersonen und rivalisierende Gruppen können die Ausführung getroffener Entscheidungen lange hinauszögern. |
Persönliche Entfaltungsmöglichkeit Jeder soll seine Talente zur vollen Wirkung bringen können. |
Gleichgültigkeit Belange und Probleme anderer werden ignoriert, solange sie nicht einen selbst betreffen. |
Originalität Ausgefallene Ideen werden gefördert, Querdenker genießen einen hohen Status. |
Streiks Um Forderungen durchzusetzen muss die Minderheit der Mehrheit auf die Füße treten. |
kurze Wege Aufgrund der direkten Führung kann sehr schnell etwas in Bewegung gesetzt werden. |
Sprunghaftigkeit Morgen ist ein anderer Tag ;-) |
Spaß Begeisterungsfähigkeit für Außergewöhnliches. |
Abgrenzung Wer nicht zur Elite gehört, zählt zum Fußvolk. |
Auswirkungen auf das herrschende politische System
Hier einige Auswirkungen, die diese Unterschiede auch auf das politische System unserer Länder hat.
Koalitionen
In mehr oder weniger gemeinschaftlich egoistischen Kulturen findet man oft Regierungen, die aus Koalitionen bestehen. Dies ist in individualistisch egoistische Kulturen nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Für Franzosen repräsentiert eine Koaliation - mit dem politischen Gegener zusammenarbeiten zu müssen - eine Horrorvision.
Machtverhältnisse
Individualistische Egoisten brauchen klare Machtverhältnisse und eine klar identifizierbare Autorität, welche die Richtung vorgibt.
Deutsche Mitbestimmung
Mehr oder minder eine Utopie für individualistische Egoisten. Als Beispiel: sprechen die deutschen Gewerkschaften in der Regel mit einer Stimme, sind diese in Frankreich in viele konkurrierende Gruppen zersplittert.